Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen
Der Arbeitskreis Armutsforschung bringt bedeutende Vertreter*innen der deutschen und europäischen Armutsforschung, Vertreter*innen der Wohlfahrtsverbände sowie Vertreter*innen aus der Praxis zu Fragen der Ungleichheits- und Armutsforschung zusammen.
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Mitglieder des Arbeitskreises
Der Arbeitskreis agiert unabhängig von parteipolitischen Interessen. Er tagt vier Mal im Jahr in Frankfurt am Main. Die Koordination erfolgt durch Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Volkswirt (MdB) und Dr. Melanie Hartmann, Referentin für Armutspolitik bei der Diakonie Hessen.
Zu den Mitgliedern des Arbeitskreises gehören u.a.:
- Dr. Andreas Aust, Referent für Sozialpolitik, Paritätische Forschungsstelle
- Dr. Irene Becker, Empirische Verteilungsforschung
- Dr. Jan Brülle, Goethe-Universität Frankfurt am Main
- Michael David, Diakonie Deutschland, Berlin
- Prof. Dr. Alexander Dietz, Hochschule Hannover
- Prof. em. Dr. Richard Hauser, Goethe-Universität Frankfurt am Main
- Gerda Holz, ehemals Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Frankfurt am Main
- Prof. Dr. Michael Klundt, Hochschule Magdeburg-Stendal
- Margarete Reinel, Diakonie Hessen, Frankfurt am Main
- Dr. Reinhard Schüssler, ehemals Prognos AG, Freiburg
- Prof. Dr. Franz Segbers, Sozialethiker, Marburg
- Evelyn Sthamer, Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Frankfurt a.M.
- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Volkswirt, MdB, Frankfurt am Main und Berlin
- Verena Tobsch, INES Berlin Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung, Berlin
- Dr. Michael Wolff, Assoziierter Wissenschaftler bei Oswald von Nell-Breuning-Institut, Frankfurt/Main
Analyse-Papier zur Kindergrundsicherung
Die im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vereinbarte Einführung einer Kindergrundsicherung ist mittlerweile in einer entscheidenden Phase der gesetzgeberischen Umsetzung. Dazu legt der Arbeitskreis Armutsforschung ein Analyse-Papier vor, in dem systematisch die Frage behandelt wird, an welchen Stellschrauben es Änderungen geben muss, damit die Einführung einer Kindergrundsicherung im Ergebnis gegen Kinderarmut hilft.
Die Kernaussagen des Papiers basieren auf einer Zusammenschau von Forschungsergebnissen. Demnach ist nachgewiesen, dass Kinderarmut in Deutschland weit verbreitet ist und sowohl für die betroffenen Familien selbst als auch für die Gesamtgesellschaft negative und kostspielige Folgen hat. Es liegt also kein Erkenntnis- sondern ein Handlungsdefizit vor, das sich in einem komplexen und dennoch unzureichenden System der Familienunterstützung zeigt: Während ein Ausgleich zwischen kinderlosen Haushalten und Familien in dem System zumindest angelegt ist, mangelt es an einem Mechanismus der Umverteilung zwischen einkommensstarken und -schwachen Haushalten/Familien.
Zur Bekämpfung von Kinderarmut ist eine Zusammenfassung bestehender Leistungen für Familien und Kinder, auf der das Hauptaugenmerk der aktuellen Diskussionen liegt, sinnvoll. Eine Reduzierung der Komplexität und Intransparenz des derzeitigen Systems reicht für sich aber nicht aus, um das Defizit des fehlenden Ausgleichs zwischen Einkommensschichten zu kompensieren und im Ergebnis mehr Kinder aus der Armut zu holen. Denn dazu muss an zwei Stellschrauben angesetzt werden: erstens an der Höhe der Leistungen – kindliche Bedarfe müssen neu und sachgerecht ermittelt werden, was nach vorliegenden Erkenntnissen zu einer Anhebung der Transfers führen würde; und zweitens muss die Reform verlässliche Strukturen und Verfahren schaffen, damit die Leistungen bei den Berechtigten tatsächlich ankommen.
Die Einführung einer Kindergrundsicherung muss also mehr sein als eine Verwaltungsreform und Digitalisierung, wenn sie gegen Kinderarmut wirksam sein will. Die Klärung von Detailfragen einer zielgerechten Reform ist zwar komplex, die administrative Umsetzung aufwändig, und die fiskalischen Herausforderungen sind gründlich zu klären. Diese Aufgaben sind aber lösbar und stehen klaren und überfälligen Entscheidungen nicht entgegen, die eine Kindergrundsicherung mit spürbaren Verbesserungen für Kinder und Jugendliche und einen Fahrplan zur schrittweisen administrativen Umsetzung des Konzepts umfassen.
Tagung: „Arbeitskreis Armutsforschung meets Praxis“
Statt Armut und finanzielle Ungleichheit entschieden zu bekämpfen, Sozialpolitik als vorbeugende Leistungen zu begreifen und für eine Absicherung des Sozialstaats einzutreten, findet ein zunehmender Abgrenzungsdiskurs „nach unten“ statt. Armutsbetroffene Personen werden in politischen und gesellschaftlichen Debatten stigmatisiert; Menschen, die auf soziale Sicherungsleistungen angewiesen sind, werden abgewertet und diffamiert. Gleichzeitig führen zunehmende Ungleichheit und Abstiegsängste bis hinein in die Mittelschicht zu einer Gefährdung demokratischer Grundwerte. Am 18. Oktober 24, direkt nach dem Tag der Armut, lud der Arbeitskreis Armutsforschung zur Veranstaltung „Arbeitskreis Armutsforschung meets Praxis“ ein, der etwa 30 Kolleg*innen aus Verbänden, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit folgten.
Zur Annäherung an die Gründe für diese Entwicklung erfolgte in drei Impulsen zunächst eine Einordnung aus verschiedenen Richtungen: Prof. Karl August Chassé, Wissenschaftlicher an der Fachhochschule Jena, skizzierte die historische Entwicklung des Selbstverständnisses moderner Arbeiterschaft und der Abgrenzung nach unten, den Aufstieg des Neoliberalismus und der Hegemonie von Selbstverantwortung mit negativen Diskursen über Sozialleistungsbeziehende und Stigmatisierung als „gesellschaftliche Funktion“ (Zur Präsentation als Video).
Dr. Dorothée Spannagel von der Hans Böckler Stiftung ging auf die Gefahren der ungleichen Verteilung von Einkommen für die Demokratie ein und zeigte auf, wo sich obere und untere Einkommensklassen voneinander absetzen. Sie nahm dabei Bezug auf den WSI-Verteilungsbericht von 2023 (Zur Präsentation als Video).
Abschließend stellte Gerda Holz, ehemals Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, in ihrem Impuls die Verbindung zur Praxis her und warf folgende Fragen auf: Welche Vorurteile haben Praxiskräfte der Sozialen Arbeit und wie wird mit Stigmatisierungen umgegangen? Warum ist die Auseinandersetzung sowie Armutssensibilität damit auch Prävention gegen Armut? Wie handeln wir entgegen der in den ersten Impulsen genannten Narrative und Abgrenzungen? (Zur Präsentation als Video)