© Werner Krüper

Egal, wo Kirche und Diakonie kürzen, es wird immer die Ärmsten treffen

Zur Situation der Bahnhofsmission Gießen

15.07.2024

Bahnhofsmission Gießen

Kirche und Diakonie bilden mit ihren sozialen Arbeitsbereichen und Einrichtungen eine wichtige Stütze der Wohlfahrt in Deutschland. Sie setzen sich für Menschen am Rande der Gesellschaft ein, die Hilfe benötigen und deren Stimme nicht gehört wird. Gemeinsam kämpfen Kirche und Diakonie für eine gerechtere Gesellschaft. Sie stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt und investieren in die Zukunft unserer Demokratie.

Das Engagement umfasst bekannte und sichtbare Einrichtungen wie Bahnhofsmissionen und Tafeln, aber auch weniger bekannte Arbeitsbereiche und Beratungsleistungen, wie zum Beispiel die verbandlich organisierte wirtschaftliche und juristische Beratung von sozialen Einrichtungen.

Die finanzielle Situation ist angespannt. Im hessischen Haushalt und auf Bundesebene hat die Politik den Rotstift in vielen sozialen Bereichen angesetzt. Sinkende Kirchenmitgliederzahlen führen zu weniger Einnahmen, die für die soziale Arbeit eingesetzt werden können. Gleichzeitig ist der Bedarf an sozialen Hilfeleistungen in Zeiten des Wandels in Hessen und Deutschland enorm.

Kirche und Diakonie stehen vor der Herausforderung, mit weniger werdenden Mitteln einen immer größer werdenden Bedarf an Unterstützung für hilfesuchende Menschen zu decken. Alle Hilfestellungen zu geben, ist nicht mehr möglich. Es müssen tiefgreifende und schmerzhafte Entscheidungen getroffen werden, wo gekürzt wird. Denn ohne Kürzungen geht es nicht mehr. Es wird immer die Ärmsten unserer Gesellschaft treffen, die nicht mehr oder nur unzureichend unterstützt werden können. Und es trifft die Menschen, die sich mit guten Absichten dafür entschieden haben, sich im sozialen Sektor als Haupt- oder Ehrenamtliche einzubringen.

Aktuell sichtbar wird diese Entwicklung anhand der Bahnhofsmission in Gießen, die aufgrund nicht mehr ausreichender Finanzierung schließen muss. Kirchliche und diakonische Einrichtungen wie die Bahnhofsmission in Gießen sind oftmals Teil komplexer und erklärungsbedürftiger Strukturen im Hinblick auf Trägerschaft und Finanzierung, die Teil der besonderen Konstellationen der freien Wohlfahrt in Deutschland sind. Die Finanzierung erfolgt auf unterschiedlichsten Wegen zum Beispiel durch Zuweisungen von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, aus staatlichen Geldern und über Spenden und Kollektenmittel.

Träger der Bahnhofsmission in Gießen ist die Regionale Diakonie Gießen. Sie erklärte im Juli in einer Pressekonferenz, dass die Arbeit der Bahnhofsmission eingestellt wird. Begründet wurde dies damit, dass die Finanzierung durch Gelder, die über die Diakonie Hessen bereitgestellt wurden, nicht weiter möglich ist. Hintergrund ist eine strukturelle Veränderung innerhalb des komplexen Gefüges von Kirche und Diakonie, die aktuell mit schwindenden Mitgliederzahlen und notwendigen Transformationsprozessen kämpfen. 2022 wurden die Regionalen Diakonischen Werke auf dem Kirchengebiet der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) aus der Diakonie Hessen e.V. ausgegliedert. Träger ist seitdem die Regionale Diakonie Hessen-Nassau gGmbH (RD HN gGmbH). Das bedeutet, dass der Diakonie Hessen e.V. nicht mehr in der direkten Verantwortung für die Regionale Diakonie steht, zu denen auch die Regionale Diakonie Gießen gehört. Mit der Ausgliederung war die Neuregelung von Finanzierungsfragen verbunden, die in einer Vereinbarung festgehalten wurde. Um den Übergang möglichst gut zu gestalten, gab es seitens der Diakonie Hessen e.V. eine nachwirkende Finanzzusage an die neue RD HN gGmbH. Diese hatte eine Laufzeit bis Ende 2023. Ab 2024 war neu zu entscheiden, ob und in welcher Höhe der Diakonie Hessen e.V. die RD HN gGmbH mit eigenen Mitteln weiter unterstützen kann. Aufgrund der 2023 entschiedenen und schrittweise massiven Kürzungen der Kirchenmittelzuweisungen muss auch die Diakonie Hessen ihre Finanzen neu aufstellen und schmerzhaft einsparen. Dazu gehört die notwendige Entscheidung, die vorhandenen Lottomittel künftig für die verbandliche Arbeit zu nutzen und so zum Beispiel wichtige Beratungsleistungen für soziale Einrichtungen aufrechtzuerhalten. Dazu gehören unter anderem die wirtschaftliche und juristische Beratung von sozialen Trägern und Einrichtungen, die gerade in den schwierigen Zeiten des Wandels und der angespannten Lage im sozialen Sektor eine dringend benötigte Unterstützungsleistung im Hintergrund ist. Die Diakonie Hessen e.V. unterstützt weiterhin mit Kollektenmitteln in Höhe von 10.000 Euro.

Hintergrund

Bei den in der Vergangenheit von der Diakonie Hessen zur Verfügung gestellten Geldern handelt es sich um sogenannte „Lottomittel“. Diese Mittel sind Überschüsse aus den hessischen Staatslotterien, die aufgrund der wichtigen Rolle und Funktion im sozialstaatlichen Gefüge den anerkannten Wohlfahrtsverbänden zukommen. Die für die Verwendung zulässigen Arbeitsbereiche sind in der “Lottomittelvereinbarung” festgelegt. Mittel können für die verbandliche Arbeit genutzt werden. So handhaben es die anderen Wohlfahrtsverbände seit jeher. Seitdem die Diakonie Hessen nicht mehr in der direkten Verantwortung für die Regionale Diakonie in Hessen und Nassau steht, verlässt die Diakonie Hessen den zuvor beschrittenen Sonderweg. Durch die Verwendung der Mittel zur Finanzierung der verbandlichen Unterstützung sozialer Arbeit kommen die Mittel allen Mitgliedern zugute – übrigens auch der Regionalen Diakonie in Hessen und Nassau. 

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