Pflege soll für jede und jeden da sein. Die Diakonie Hessen zeigt in ihren Forderungen, was es braucht, damit wir auch in Zukunft Hilfe und Pflege geben und erhalten können.
Das Gesundheitssystem ist am Limit, es braucht grundlegende Veränderungen. Trotz eindringlicher Warnungen und vielen Verbesserungsvorschlägen ist bis heute nicht genug geschehen. Das Pflegesystem entspricht noch immer nicht den aktuellen Bedarfen. Es ist zu kompliziert. Viele einzelne Arbeitsbereiche sind zu wenig miteinander verzahnt oder vernetzt. Und doch wird weiter gepflegt und Care-Arbeit geleistet. Das geschieht in stationären Einrichtungen, in der Tagespflege, in Krankenhäusern und Einrichtungen der Eingliederungshilfe – und es geschieht in vielen, vielen privaten Haushalten. Manchmal unterstützt von einem ambulanten Pflegedienst oder der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung und ganz oft geschultert von Angehörigen, Freund*innen oder Nachbarn.
Die Situation in der Pflege ist so angespannt wie nie und für Pflegende und Angehörige sehr bedrückend. Es wird Zeit, dass Pflege und die Sicherung von Sorgenetzen ganz nach oben auf die politische Agenda kommen. Es ist klar: Alle werden ihren Beitrag leisten müssen, finanziell, aber auch ganz praktisch wie über Nachbarschaftshilfe, Ehrenamt, geteilte Verantwortung in der Familie.
Nachwuchs in der Pflege und der Zugang zu Qualifizierungsprogrammen müssen dringend gesichert und flexibilisiert werden – und innovative Beschäftigungsmodelle müssen finanziert werden, um eine konstante und hochwertige Pflege zu gewährleisten.
Forderungen: Was die Pflege braucht
Damit Gesundheitseinrichtungen erfolgreich die Digitalisierung umsetzen, müssen die Akteure an einen Tisch gesetzt und klare Empfehlungen und Förderungen vom Land ausgesprochen werden. Dafür muss das Land eine koordinierende Rolle einnehmen, bspw. durch ein Kompetenzzentrum Digitalisierung in der Pflege.
Ambulante Pflegedienste, wie auch (teil)stationäre Einrichtungen müssen für kommende Digitalisierungserfordernisse und somit auch für die Anbindung an die Telematikinfrastruktur darüber hinaus mehr Unterstützung vom Land erfahren. Einrichtungen müssen gestärkt werden, Entscheidungen für innovative Technologien - und damit für Digitalisierung und Telematikinfrastruktur - und hiermit verbundene Investitionen treffen zu können und diese zeitnah umzusetzen. Das kann beispielsweise durch Runde Tische erfolgen und die Sammlung und Veröffentlichung von Projektbeispielen.
Wir wünschen uns vom Land Hessen eine Förderung von Technologie- und Digitalisierungsmaßnahmen, die z.B. einen innovativen Charakter erfüllen. Auch eine Refinanzierung über die Entgelte SGB V sollte möglich sein.
Schon jetzt verzweifeln insbesondere kleinere und mittelgroße Einrichtungen an den immer aufwendiger werdenden Auflagen. Durch einen spürbaren Bürokratieabbau wird Kostenträgern und Leistungserbringern gleichermaßen ermöglicht, vorhandene Ressourcen entsprechend der Bedarfe und gestellten Aufgaben einsetzen zu können.
Das Land Hessen muss sich für eine Vereinfachung der Verfahren im Gesundheitsbereich einsetzen, bspw. bei Erhebungs- und Berechnungsverfahren zum Ausbildungsfonds, verschiedenen Meldeverfahren bei Änderungen im Personal, bei Leistungserfassungen und Abrechnungen.
Wir benötigen eine Vereinheitlichung und Vereinfachung der Kommunikation mit Kostenträgern. Eine Einrichtung muss mit einer Vielzahl an verschiedene Kostenträger (Kranken- und Pflegekassen sowie Sozialhilfeträger) abrechnen. Die Einhaltung der verschiedenen Abrechnungswege ist für die Einrichtungen sehr personalintensiv und zeitaufwendig.
Wir brauchen eine flächendeckende digitale Dokumentation und Abrechnung zur Entlastung der Pflegenden. Eine effiziente Nutzung der Digitalisierung ist von der Akzeptanz der vollständig elektronischen Pflegedokumentation und der entsprechenden Leistungsnachweise durch die Kassen abhängig. Auch die digitale Unterschrift auf digitale geführten Leistungsnachweisen muss durchgängig und zeitnah akzeptiert werden.
Die bisherigen kleinen Veränderungen greifen nicht weit genug. Sie lösen die strukturellen Probleme in der Pflege nicht. Auch auf Landesebene müssen wir uns damit beschäftigen und Forderungen an den Bund weitergeben: Eine grundlegende Finanz- und Strukturreform ist notwendig. Dazu gehört unter anderem eine tatsächliche Deckelung des pflegebedingten Eigenanteils und eine adäquate Finanzierung des aktuell unterfinanzierten SGB V Leistungen im ambulanten Bereich bzw. einer völligen Neubewertung des Leistungsaufwands und die Bereitschaft diesen Aufwand auch wertschätzend zu refinanzieren.
Leistungsstarke Gesundheitsregionen brauchen leistungsstarke Kommunen und Akteure. Eine gut vernetzte Pflegeinfrastruktur ermöglicht einen reibungslosen Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen, einschließlich Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und Therapeuten. Elektronische Patientenakten und digitale Kommunikation erleichtern den Zugang zu relevanten Informationen und verbessern die Koordination der Pflege. Der Einbezug von weiteren Akteuren, wie Angehörigen und Ehrenamtlichen, in den Prozess ist ebenso wichtig. Setzen Sie sich ein für leistungsstarke Gesundheitsregionen, in denen Kommunen dazu befähigt und verpflichtet werden, die Gesundheits- und Pflegeversorgung der Zukunft zu gestalten. Wir empfehlen als ein Mittel die Umsetzung von regionalen Gesundheits- und Pflegekonferenzen.
Damit Innovationen im Wohnen auch in Hessen entwickelt werden, braucht es sowohl eine modellhafte Förderung von Einzelprojekten als auch die Bereitschaft vonseiten der Kostenträger für neue Wege der regelhaften Finanzierung.
Es müssen Gestaltungsmöglichkeiten geschaffen werden (struktureller, rechtlicher, finanzieller Rahmen etc.), um mit innovativen und alternativen Wohnformen der vielfältigen Bedarfe einer älter werdenden Gesellschaft Rechnung tragen zu können.
Land und Kommunen müssen Prozess unterstützen
Um die Schaffung wohnortnaher Wohn-Pflegestrukturen aufzubauen, sollte das Land die Kommunen beim Aufbau dieser Strukturen sowohl fachlich von der Bedarfsermittlung bis zur Integration in die bestehenden Strukturen vor Ort, mit entsprechenden Informationen, Begleitung der Prozesse und Programmen unterstützen.
Zur Finanzierung von Innovationen im Kontext Wohnen (und Versorgung) sind Förderprogramme gezielt einzusetzen.
Es bedarf Möglichkeiten einer Modellförderung ebenso wie eine Übertragbarkeit in die Regelversorgung. Ebenso soll die Förderlandschaft vereinfacht und mehr auf die Bedarfe von Akteuren lokaler Sorgestrukturen angepasst werden.
Für die Umsetzung eines bedarfsgerechten und fachlich durchdachten Qualifikationsmix brauchen wir kurzfristig eine ausreichende Refinanzierung der aktuell nicht auskömmlichen Altenpflegehilfeausbildung. Die aktuelle Kopffinanzierung muss durch eine Kursfinanzierung ersetzt werden, damit auch bei Ausbildungsabbrüchen der Ausbildungskurs weiterhin refinanziert ist.
Zusätzlich zu den bestehenden Verkürzungsmöglichkeiten empfehlen wir die Etablierung eines Verfahrens für eine Externenprüfung in der Alten- und Krankenpflegehilfe auf Landesebene als regelhafte Möglichkeit (und nicht nur als Einzelfalllösung) zur kurzfristigen Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt.
Die Länder können maßgeblich durch einfache und klare Prozesse in den Behörden eine positive Willkommenskultur mitgestalten. Dazu gehören zügigere Anerkennungsverfahren für im Ausland erworbene pflegerische Berufsabschlüsse. Um unnötige Fiktionsbescheide zu verhindern, empfehlen wir einen Erlass, damit Menschen nach erfolgreichem Ausbildungsabschluss die ersten 6 Monate arbeiten können, bis dann die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis auch auf den aktuellen Arbeitsstatus aktualisiert ist. Grundsätzlich sollte es ohne zeitliche Begrenzung für Altenpflegehelfer*innen erlaubt sein, nach erfolgreicher Altenpflegehilfeausbildung mit einer Ausbildungsduldung, in der Pflege zu arbeiten.
„Das Land Hessen muss seine Verantwortung wahrnehmen und endlich ausreichend die Pflegeeinrichtungen fördern – damit nicht noch mehr schließen müssen“
Die Refinanzierung der Investitionskosten muss an die aktuellen wirtschaftlichen Realitäten angepasst und angemessen angehoben werden. Derzeit ist die Finanzierung der Baukosten pro Platz nicht ausreichend, weshalb notwendige Sanierungen oder Neubauprojekte nicht durchgeführt werden können. Das Land Hessen muss sich wieder aktiv am Neu- und Ausbau der pflegerischen Infrastruktur beteiligen und drastisch die öffentliche Förderung erhöhen. Die Refinanzierung kann nicht weiter zu Lasten der Bewohner*innen sowie der kommunalen Sozialhilfeträger gehen.
Die Energiekrise zeigte auf, dass eine massive energetische Investition in die bestehende Infrastruktur erforderlich ist. Es bedarf energetischer Maßnahmen für individuelle sowie komplexe Energiebedarfsstrukturen einzelner Pflegeeinrichtungen. die mit hohen Kosten und längeren Amortisationszeiten verbunden sind. Das Investitionsrisiko auf dem Weg zur Klimaneutralität darf daher nicht bei den Pflegeeinrichtungen allein liegen. Investitionen in Maßnahmen zur Erreichung von Klimaneutralität und nachhaltiger energetischer Versorgung müssen refinanzierbar sein.
Leiharbeit in der Pflege
Position: 5 vor 12 - Leiharbeit muss dringend reguliert werden
Anbieter von Leiharbeit sind aktuell gefragte Akteure in der Pflegebranche. Dies verdeutlichen Rückmeldungen stationärer Einrichtungen aus dem Hessischen Pflegemonitor: Im Jahr 2020 setzten 39% gelegentlich und 16% dauerhaft Leiharbeitskräfte ein. Nach den Rückmeldungen aus dem ambulanten Bereich sind es gelegentlich 8% und dauerhaft 2%. Leiharbeit bietet sowohl für Beschäftigte als auch für Einrichtungen Vorteile, bspw. kurzfristige und flexible Verfügbarkeit von Mitarbeitenden, keine langfristige Vertragsbindung und die Gewinnung vielfältiger Erfahrungen in unterschiedlichen Unternehmen und Sektoren.
Für eine qualitativ gute Leistungserbringung und Refinanzierbarkeit erfordert Leiharbeit aber dringend eine normative Ausgestaltung der vertraglichen Rahmenbedingungen. Bisher diktieren Leiharbeitsfirmen Vertragsinhalte, insbesondere die Preise, nach dem freien Markt - während das Risiko bei Nichtvertragseinhaltung allein zulasten der beauftragenden Einrichtungen geht.
Dies führt bei den Einrichtungen zu enormen, nicht refinanzierten Kosten und oft auch zu Qualitätseinbußen, da Personal von Leiharbeitsfirmen unzureichend geschult ist (z.B. zu aktuellen Anforderungen an Pflegedokumentation und Nachweisführung, Expertenstandards, Erste-Hilfe, etc.). Häufig sind die Einsätze nur kurzzeitig und ad hoc erforderlich. Darin begründet ist oftmals keine ausreichende Zeit für eine umfangreiche Einarbeitung. Es kommt zu fehlender Kontinuität bei der Versorgung bzw. wechselnden Ansprechpersonen und dadurch zu Qualitätseinbußen.
Unsere Forderungen zur Leiharbeit
Anbieter von Leiharbeit müssen den gleichen gesetzlichen Vorgaben und Anforderungen unterliegen wie Pflegeeinrichtungen. Dazu zählt, dass Mitarbeitende von Leiharbeitsfirmen ebenso verpflichtende Fortbildungen absolvieren.
Es müssen verbindliche Regelungen von Mindestvorgaben zur Erfüllung durch die Leiharbeitsfirmen definiert werden. Dies fordern wir unter anderem bei der Ersatzbeschaffung für Personalausfall sowie im Haftungsrecht bei fachlichen Fehlern oder nicht vorhandenen Qualifikationen.
Beseitigung der Lohndifferenzen zwischen Leiharbeit und Einrichtungen
Kostenträger müssen dazu verpflichtet werden, Mehrkosten durch Leiharbeit zur Sicherstellung der Mindestbesetzung zu finanzieren.
Festlegung von Abwerbekarenzzeiten bzw. -kosten für die Leiharbeitsfirmen.
Leiharbeitsfirmen müssen auch ihren Beitrag zur Ausbildung leisten und am Ausbildungsfonds beteiligt werden.
Neben den Forderungen an den Gesetzgeber gibt es auch Faktoren, die den grundsätzlichen Einsatz von Leiharbeit reduzieren könnten:
finanzielle Förderung alternativer Konzepte wie z.B. Springerkonzepte (siehe hierzu auch Konzertierte Aktion Pflege)
vereinfachtes Anerkennungsverfahren von ausländischen Fachkräften zur Personalgewinnung
Bleiberecht von Pflegeassistenzpersonen – „Greencard“.
Hintergrund Pflege
Stationäre und ambulante Einrichtungen müssen im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen mit Kostenträgern (Pflegekasse, Sozialhilfeträger) grundsätzlich ihre Preise vereinbaren. Die Personalkosten stellen dabei mit etwa 80 Prozent den größten Anteil der Gesamtkosten dar.
Im stationären Bereich ist hierfür der Maßstab die Mindestbesetzung in der Einrichtung. In der Folge muss mit einer zunehmend knappen Personaldecke der Dienstplan sichergestellt werden. Mit dieser regulären Mindestpersonalausstattung müssen Einrichtungen bestmögliche Leistungen erbringen. Dieser Umstand führt dazu, dass bereits geringfügige Personalausfälle nicht mehr durch Stammpersonal kompensiert werden können. Diese Problematik hat sich in der Vergangenheit, vor allem durch den Pflegepersonalmangel, weiter verschärft.
Einrichtungen sind dazu verpflichtet, die verhandelte Personalmenge zu erfüllen bzw. die für die Erbringung des Leistungsangebotes benötigte Personalmenge vorzuhalten. Um dies bei Personalausfällen gewährleisten zu können, müssen diese vielfach auf Leiharbeit zurückgreifen. Je nach Versorgungssektor hat es ansonsten Folgen: Im ambulanten Bereich müssten Touren abgesagt werden oder im äußersten Fall sogar Pflegeverträge gekündigt bzw. Neuanfragen nicht mit einem eigentlich angemessenen Leistungsangebot bedient werden. Im stationären Bereich stehen weniger Pflegeplätze zur Verfügung bis hin zu einer (vorübergehendenden) Schließung ganzer Einrichtungsteile. Durch diese Umstände drohen weitere Versorgungslücken.
In Folge der Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens nach § 113c SGB XI in stationären Pflegeeinrichtungen wird sich der Personalbedarf weiter erhöhen. Einrichtungen bewegen sich damit in dem Spannungsfeld, trotz angespannter personeller Situation den ordnungs- und leistungsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen. Sie müssen sich daher entscheiden: Versorgungsangebote zu reduzieren oder Personal von Leiharbeitsfirmen in Anspruch zu nehmen (oder auch freiberuflich-tätige Pflegekräfte).
Pflege in der Diakonie Hessen
Die Diakonie Hessen bietet Kranken und pflegebedürftigen Menschen Hilfe und Unterstützung durch ihre Mitgliedseinrichtungen an. Zu den 2.223 Mitgliedseinrichtungen gehören 31 Krankenhäuser, 409 Einrichtungen der Altenhilfe, 130 Diakoniestationen und 32 Einrichtungen der Hospizhilfe. (Stand 18.09.2023)